Indiana Jones und die Suche nach dem Anfangsverdacht

Detektive bei der Arbeit

Letzten Dezember machten wir gemeinsam mit dem Falter einen handfesten Skandal publik: Auch in Österreich wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation gegen Max Zirngast eröffnet. Max erfuhr das durch eine briefliche Verständigung über die Einstellung des Verfahrens – ein Jahr nach Einleitung desselben.

Max und sein Anwalt Clemens Lahner legten eine Beschwerde ein. Diese wurde von der betroffenen Staatsanwaltschaft zwischenzeitlich bewertet – in bewährter Manier der Schützenhilfe für die türkische Justiz – und liegt nun beim zuständigen Gericht vor. Darüber hinaus reichte die Abgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic von den Grünen parlamentarische Anfragen beim Innenministerium, Justizministerium und Außenministerium ein; also bei all den Ministerien, die in irgendeiner Form in den Fall involviert waren. Die Beantwortung dieser parlamentarischen Anfragen erfolgte nun am 19 und 20. Februar 2020. Zusammenfassend lässt sich sagen: same old und noch mehr Verwirrung, Widersprüche, Gespenster. Der Reihe nach.

Ermitteln, weil kein Anfangsverdacht vorliegt! (Das Innenministerium)

Das Innenministerium wurde in erster Linie zum Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) befragt. Diese hatten sich darin ja in die völlig verquasten Verwicklungen verschiedenster angeblicher und tatsächlicher Organisationen verstiegen, die – unabhängig von der Fragwürdigkeit ihrer tatsächlichen weiter bestehenden Existenz – wenig miteinander zu tun haben, und mit denen vor allem Max Zirngast nichts zu tun hat. Aufklärung über die Ursachen dieser Verwirrung liefert das Innenministerium nun in ihrer Antwort nicht. Der BVT-Bericht, so die Behörde, basierte auf öffentlich zugänglichen sowie auf behördeninternen Informationen, des Weiteren auf Informationen, die im Rahmen der Amtshilfe gemäß Art. 20 Abs. 3 B-VG übermittelt wurden.“ (Beantwortung des Innenministeriums, S. 2) Um was für „behördeninterne Informationen“ es sich konkret handelt, wird natürlich nicht genannt.

Aus diesen Informationen habe sich jedenfalls, so das Ministerium weiter, ergeben, „dass es sich bei der TKP/K um eine radikale Abspaltung der TKP/ML (Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist -Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch) handle.“ (ebd.) Da waren wir schon einmal, und wir haben auch trotz mehrmaliger Erklärung der Unsinnigkeit der Behauptung, dass die TKP/K – über deren mutmaßliche Aktivitäten seit den 1990ern sogar Berichte der türkischen Antiterrorpolizei kaum was aussagen – mit der TKP/ML in irgendeiner organischen Verbindung stehe, von den österreichischen Behörden immer noch keine Antwort darauf erhalten, aus welchem Finger sie sich diese These gesaugt haben. Wissenschaftlich oder juristisch lässt sie sich jedenfalls nicht halten. Man möchte mit Faust rufen: Da steh’ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!

Darauffolgend wird es ganz schön abenteuerlich: „Nach Ansicht des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung lag aber kein Anfangsverdacht vor, sodass eine endgültige Abklärung der Organisation der TKP/K nur durch Einleitung von strafrechtlichen Ermittlungen möglich gewesen wäre“. (ebd.) Es lag kein Anfangsverdacht vor – gerade deswegen musste ermittelt werden! Brillant. Mit der Begründung kann natürlich gegen jede*n Bürger*in einfach so ermittelt werden, weil es ja gar keinen Anfangsverdacht mehr braucht.

Aber immerhin: Das BVT sah keinen begründeten Anfangsverdacht und ermitteln muss ohnehin die Staatsanwaltschaft. Wie also bewertete die Staatsanwaltschaft die Sachlage? Dazu gleich mehr.

Zum Innenministerium noch erwähnenswert: Trotz expliziter Nachfrage gibt es keine Antwort auf die Frage, warum das BVT überhaupt von sich aus tätig geworden ist und den Bericht über Max Zirngast erstellt hat. Die Beantwortung hält aber fest, dass es keinen Ermittlungsauftrag von der zuständigen Staatsanwaltschaft gab (ebd.). Das heißt, das BVT ist von sich aus tätig geworden.

Ermitteln, zum Schutze des Angeklagten! (Das Justizministerium)

Was also machte die Staatsanwaltschaft aus der Sache? „Die Staatsanwaltschaft Graz erstattete am 30. Oktober 2018 einen Vorhabensbericht an die Oberstaatsanwaltschaft Graz, mangels konkreter Anhaltspunkte für die Verwirklichung einer strafbaren Handlung und somit mangels konkreten Anfangsverdachts nach § 35c StAG von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Max Zirngast abzusehen.“ (Beantwortung des Justizministeriums, S. 2)

Also Moment mal, die Staatsanwaltschaft sah auch keinen begründeten Anfangsverdacht! Damit sahen schon zwei Institutionen des österreichischen Staates keinen begründeten Anfangsverdacht gegeben. Warum kam es trotzdem zum Ermittlungsverfahren? Das Justizministerium erklärt: Weil die Oberstaatsanwaltschaft Graz am 26. November 2018 die Weisung gegeben habe, ein Verfahren wegen Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung einzuleiten und ein Rechtshilfegesuchen an die Türkei zu stellen! (ebd.) Und dafür gibt es auch eine sehr interessante Begründung: „Die Beischaffung der türkischen Akten zielte dabei auf die Verifizierung oder Falsifizierung der im Ausland gegen einen österreichischen Staatsbürger erhobenen schwerwiegenden Anschuldigungen ab, wobei die gegen Max Zirngast seitens der türkischen Behörden erhobenen Vorwürfe von den Staatsanwaltschaften von Anfang an kritisch gesehen wurden und die Verbreiterung der Informationsgrundlage durch die – zu diesem Zeitpunkt einzig zielführende – Beischaffung der bezughabenden türkischen Unterlagen daher selbstverständlich auch im Interesse und letztlich zum Schutz des in der Türkei in Verfolgung gezogenen Österreichers erfolgte. Die Unterlagenbeischaffung sollte damit gerade auch dazu dienen, die Ausführungen im Verhörprotokoll des 4. Amtsgerichtes für Strafsachen Ankara kritisch zu hinterfragen.“ (ebd., S. 2-3)

Spannend! Denn so wurde bisher nicht argumentiert. Bisher hieß es, man sei schlicht dazu verpflichtet gewesen, gegen Max Zirngast zu ermitteln. Jetzt aber heißt es plötzlich, es sei um die potentielle Entlastung Max Zirngasts durch kritische Hinterfragung der türkischen Behörden gegangen, weil das Verfahren in der Türkei von Anfang an kritisch gesehen wurde! Welch wohlwollende, sorgende Umsicht. Aber wir erinnern uns: Im Rechtshilfeersuchen an die Türkei wurde klipp und klar festgehalten, dass auch Ermittlungsergebnisse der österreichischen Kriminalpolizei zur Aufnahme des Verfahrens in Österreich geführt hatten. Und danach wurde in der parlamentarischen Anfrage auch explizit gefragt. Eine Antwort darauf, warum das so geschehen ist, fehlt weiterhin.

Das Ganze kritisch betrachten, das kann Max’ Anwalt Clemens Lahner besser: „Bezeichnend ist, dass nach wie vor niemand eine Antwort auf die Frage geben kann, wie die Staatsanwaltschaft Graz dazu kommt, in ihrem Schreiben an ein türkisches Gericht zu behaupten, dass auch aufgrund der bisherigen Ermittlungen der österreichischen Kriminalpolizei ein Terrorverdacht gegen Max Zirngast bestanden hätte. Tatsache ist, dass der österreichische Verfassungsschutz nicht einmal einen Anfangsverdacht gegen Zirngast hegte.“

Das Justizministerium wurde ebenfalls befragt, warum Max Zirngast trotz Informationspflicht nicht über das Ermittlungsverfahren gegen ihn informiert wurde. Die Antwort darauf ist ebenfalls altbekannt: Aufenthalt und offizielle Meldeadresse seien unbekannt oder eine Zustellung „nicht tunlich und zweckmäßig“ gewesen. Während letzteres bestenfalls vermessen und dreist ist, konnten wir ersteres schon in unseren anderen Auseinandersetzungen mit den Ausflüchten der österreichischen Behörden hinreichend widerlegen: Rechtsanwalt Lahner und wir wiesen schon mehrfach darauf hin, dass die österreichischen Behörden vor Ort (und im Übrigen auch viele Journalist*innen) nach Max’ Entlassung mit ihm in Kontakt standen und es für die Strafverfolgungsbehörden ein Leichtes gewesen wäre, Kontakt zu ihm herzustellen. Außerdem geht aus den Akten des Verfahrens auch kein Versuch hervor, die Melde- und Zustelladresse von Max in irgendeiner Form zu eruieren – obwohl zugleich in denselben Verfahrensakten Informationen über Telefonnummern und Adressen von Mutter, Freundin und türkischem Anwalt von Max mit aufgenommen wurden. Das heißt, dass die Staatsanwaltschaft Graz offensichtlich gar kein Interesse daran hatte, Max über das laufende Verfahren zu informieren – trotz Informationspflicht. 

Wir wissen nichts und wir wissen alles! (Das Außenministerium)

Die Antwort des Außenministeriums ist im Großen und Ganzen ähnlich nichtssagend wie die anderen. Interessant ist, dass das Außenministerium angibt, keine genaue Kenntnis davon zu haben, wie viele österreichische Staatsbürger*innen in der Türkei in ähnlichen Verfahren angeklagt sind und/oder sich in Haft befinden. (Beantwortung des Außenministeriums, S. 3) Die Sorge um den Schutz von Staatsangehörigen in türkischer Haft oder in laufenden Verfahren, wie sie das Justizministerium noch vorgibt; der Wunsch, hier umfassend und kritisch auf die Verfahren zu blicken, wird vom Außenministerium erst gar nicht angeführt.

Interessant ist aber auch ein offensichtlicher Widerspruch. Max Zirngast hatte den österreichischen Behörden wenige Tage nach seiner Entlassung die vollständige Anklageschrift gegen ihn und seine Mitangeklagten übergeben. Das war Ende Dezember 2018. Diese völlig absurde Anklageschrift ohne jeglichen konkreten Beweis hätte Max Zirngast sofort entlastet. Während aber das Verhörprotokoll von der ursprünglichen Inhaftierung seitens der österreichischen Botschaft in Ankara weitergeleitet wurde, wurde die Anklageschrift nicht weitergeleitet: „Die türkischsprachige Anklageschrift im Umfang von mehr als 100 Seiten wurde im Hinblick auf das kurz darauf gestellte Rechtshilfeersuchen an die türkischen Behörden nicht weitergeleitet.“ (ebd., S. 2) Das Außenministerium hält aber fest, dass es erst „am 24. Jänner 2019 über das direkt an die türkischen Justizbehörden übermittelte Rechtshilfeersuchen betreffend Max Zirngast in Kenntnis gesetzt [wurde]“ (ebd., S. 1-2).

Welch weise Voraussicht! Die Ende Dezember überreichte Anklageschrift wurde also mit Hinblick auf das Rechtshilfeersuchen, das nie beantwortet wurde und über das die Botschaft in Ankara erst einen Monat später informiert wurde, nicht weitergeleitet. Grotesker geht es kaum.

Kein heiliger Gral. Schluss

Schlauer geworden sind wir aus der Beantwortung der Anfragen nicht. Altbekanntes wurde wiederholt, die Legalität des Vorgehens durch ausführliches Heranziehen von Paragraphen „bewiesen“. Das kann sogar, mehr schlecht denn recht, stimmen, aber, so hält Max selbst fest: „Die brennenden, politisch relevanten Fragen wurden einmal mehr nicht beantwortet“.

Es ist immer noch nicht geklärt, wie österreichische Behörden einfach so Verfahren gegen Staatsbürger*innen einleiten können, die ohnehin schon in der Türkei politischer Verfolgung und Repression ausgesetzt sind. Es ist weiterhin unklar, wie die Oberstaatsanwaltschaft Graz dazu kam, einen begründeten Anfangsverdacht zu sehen dort, wo Staatsanwaltschaft und BVT keinen sahen.

Max ist nicht der einzige, der so ein Verfahren durchstehen musste. Auch Mülkiye Laçin, die monatelang in der Türkei bleiben musste und erst im Jänner wieder ausreisen durfte, hat ebenfalls ein Verfahren am Hals und der in der Türkei nach einem wohl unter psychischer Folter erpressten Geständnis verurteilte Ilhami Şahbaz ebenso. Mülkiye ist wieder in Österreich, aber ihr Verfahren in der Türkei läuft weiter. Was passiert, wenn die türkische Justiz sie verurteilt? Was wird die österreichische Justiz dann machen? Warum verleiht die österreichische Justiz einer offensichtlich politisch motivierten Willkürjustiz wie in der Türkei Legitimität dadurch, dass sie auch hier Verfahren gegen Verfolgte eröffnet?

Diese und andere Fragen gilt es eigentlich zu beantworten und mehr als das, es gilt diese Praxis der österreichischen Justiz zu beenden, die letztlich Schützenhilfe für die politische Willkürjustiz und das aktuelle Regime in der Türkei liefert. Und darum werden wir uns auch weiterhin bemühen, auch wenn es bedeutet, dass wir weiterhin mit spitzer Feder, Fedora und Peitsche Gespenstern und nicht existierenden Verdachtsmomenten hinterher jagen müssen.

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